Im Fernsehen, im Radio, im Netz – überall werden Berichte gerade damit eingeleitet:
„Jeder weiß, was er am 9. November 1989 getan hat, als die Mauer fiel.“
Roland war bei der K89, der 11. internationalen Messe Kunststoff und Kautschuk in Düsseldorf. Tja, ich weiß es nicht. Ich hatte ein drei Monate altes Baby. Ein fröhliches, sehr aktives Baby. Dieses niedliche Baby hatte nur zwei kleine Nachteile. Es fand spucken prima und schlafen doof.
Mehr als einmal brauchten wir mehrere Anläufe, um aus dem Haus zu kommen. Die Idee war ein gefüttertes Baby mit zu nehmen. Nach dem Stillen spuckte das Baby, allerdings nicht nur ein bisschen, sondern in größerem Schwall. Meistens so, dass ich ihn und mich umziehen musste, oft kam noch putzen der Umgebung hinzu. Also zum Wickeltisch, das Baby wickeln, anziehen, um es dann hochzunehmen und zu gehen. Häufig jedoch genügte das für den nächsten Schwall und das Umziehen begann erneut. Das Baby wuchs jedoch trotz allem völlig normal und war auch sehr zufrieden. Alle Versuche an diesem extremen Spucken etwas zu ändern misslangen und nach einem halben Jahr war es weitgehend vorbei. Über viele Jahre klappte das sofort Spucken bei jedwedem Milchgetränk. Diese Spuckerei bestimmte große Teile des Alltags, denn zehnmal ihn und mich an einem Tag war keine Seltenheit, da lohnt sich die Waschmaschine dann. ;)
Schlafen doof finden klingt erstmal nicht sonderlich tragisch. Das ist an sich auch richtig. Die Nächte mit einem Baby sind jedoch sowieso von Unterbrechungen geprägt. Ein Baby welches sich schlafen aufteilt, so mal zehn Minuten im Kinderwagen, mal eine Viertelstunde im Auto, mal einige Minuten auf dem Arm und dazu nicht mehr als acht Stunden Schlaf braucht, führt bei der Mama zu einem Schlafdurchschnitt von unter vier Stunden. Nach einigen Monaten wird das irgendwann anstrengend.
Diese Zeit war trotzdem schön, denn wie schon erwähnt, es war ein fröhliches, aktives und fast immer blendend gut gelauntes Baby. So lange sich jemand mit ihm beschäftigte, war es ein Strahlebaby, nur fast jeder Versuch es hinzulegen und allein zu lassen, endete in Gebrüll. Mein Alltag war zu üben, was sich alles mit einem Baby auf dem Arm machen lässt. Mit der Zeit konnte ich sehr, sehr viel auch sowas wie Waschmaschine ausräumen oder Wäsche zusammenlegen einhändig mit Baby auf dem Arm.
Die Mauer
Die Berliner Mauer bestand ab dem 13. August 1961. Sie wurde vor meiner Geburt gebaut. Ich wuchs auf mit der Mauer, sie war einfach normal. Für mich war „die Zone“ einfach eine andere Welt, weit weg und nichts was mit meinem Alltag zu tun hatte. Ich habe mich schon immer für Sportereignisse interessiert und da war es normal sich zu freuen, wenn die Sportler der BRD besser waren, als die der DDR. In manchen Sportarten klappte das fast immer, beim Fußball beispielsweise, aber in ganz vielen Sportarten war es eher umgekehrt, Leichtathletik, Skispringen, Eiskunstlauf… Die Menschen aus Ostdeutschland waren bedauernswert, klar. Ich wusste, dass sie nur ausnahmsweise in unsere BRD kommen durften, sie durften wenig Geld zum Umtausch mitbringen, und nach Umtausch war es kaum etwas wert. Irgendwann bekamen sie 30 DM Begrüßungsgeld. Meine Mutter erzählte mir, dass sie bei der Auszahlung an die Menschen aus der Ostzone manchmal Ausnahmen machte und ihnen privat DM gab. Daher gab es irgendwann unzählige Figuren aus dem Erzgebirge, die ihr dankbare Menschen schickten, nach dem sie wieder in der DDR waren.
1989 und die DDR
Bei uns in der BRD war es ein Jahr des Aufschwungs der rechtsgerichteten Parteien, die Republikaner kamen in einige Parlamente. Andererseits, ja, im Osten Europas bewegte sich etwas, manches war nicht mehr ganz so klar und eindeutig, unter der Fuchtel der Sowjetunion, wie zuvor. Aber immer mal wieder hatte es irgendwas gegeben, was wirkte, als bewege sich was, am Ende blieb es doch der Osten. Da war zwar die Öffnung der Grenze Österreich-Ungarn, DDR-Bürger besetzten die ständigen Vertretung in Ost-Berlin, Botschaften in Ländern des Ostens, doch es bleiben Fluchten. Es gibt keine genehmigten Ausreisen. Stattdessen werden Demonstrationen verboten und die Grenze zur CSSR geschlossen. Im Oktober wird Honecker gestürzt, aber die neue Führung scheint nicht anders zu handeln.
Die Mauer fällt
Als am 9. November vom Mauerfall berichtet wird, habe ich es für eine weitere Episode gehalten. „Die Mauer weg.“ So ein Quatsch, das kann nicht sein, das bleibt nicht, da war ich sicher. Ich dachte auch dieser Versuch von Freiheit wird wieder rückgängig gemacht werden. Ich nahm an, dass sie jetzt halt einige gehen lassen, weil es gerade nicht anders geht, doch dann würden sie die Mauer perfekter wieder bauen und alles bliebe wie es „immer“ war. Ich nahm diesen Abend einfach nicht ernst.
Deshalb blieb er mir auch nicht als besonderer Abend im Gedächtnis. Im Dezember gibt es weitere Veränderungen, unter anderem Honecker wird aus der SED ausgeschlossen. Nun, ja, es bewegte sich etwas, aber es weiterhin die SED an der Macht.
Die Menschen in der DDR fordern die Wiedervereinigung, im März 1990 gibt es Wahlen. Die ehemalige SED, jetzt PDS bekommt nur 16,3%. So allmählich fange ich an zu glauben, dass es vielleicht doch nicht wieder eine Mauer geben könnte. Im April kommt es zu deutsch-deutschen Gesprächen, immer öfter klingt es tatsächlich nach Wiedervereinigung. Im Juni 1990 gibt es einen Vertrag zwischen der DDR-Volkskammer und dem deutschen Bundestag. Im Juli wird die D-Mark in der DDR eingeführt, im August wird die Wiedervereinigung zum 3. Oktober beschlossen. Irgendwann da, wurde mir klar, dass das was für mich immer normal, diese DDR, dass es die wohl wirklich nicht mehr gibt, dass es wohl tatsächlich wieder ein Deutschland geben wird, so wie es im Geschichtsunterrricht immer beschrieben wurde.
Berlin
Ich habe Berlin das erste Mal 1992 gesehen, bei einer Busrundfahrt waren schon noch große Unterschiede zwischen dem ehemaligen Ostberlin und Westberlin erkennbar, aber es war bereits eine freie Stadt.
…jeder weiß, was er am 9.11.89 getan hat
Angeblich wissen alle Deutschen, was sie an diesem 9. November getan haben.
Vielleicht bin ich wirklich die Einzige, die es nicht weiß und die es einfach nicht für möglich hielt.
Ich glaube eher, es gibt noch mehr wie mich, Menschen die so aufwuchsen, dass sie es nicht für möglich hielten, dass es jemals wieder ein Deutschland geben kann. Ich vermute, dass nur sehr viele das nicht zugeben, weil es als unpolitisch, desinteressiertes Verhalten gelten könnte. Viele mit denen ich später über den Abend des Mauerfalls sprachen, sagten zumindest, dass die Meldung „die Mauer ist weg“, für Unsinn hielten. Es gab wohl nur ganz wenige, die ernsthaft von sich behaupten können, dass sie am Abend des 9. November 1989 wirklich verstanden, dass die Mauer weg war und dass es ein wiedervereinigtes Deutschland geben würde.
Bilder von der Mauer
Wie gesagt, ich habe die Mauer in Berlin nicht gesehen, als es sie noch aktiv gab. Ich habe jedoch 2008 mit Rüdiger die Mauer in Bethlehem, Palästina gesehen. Manche Texte auf dieser Mauer in Bethlehem, beziehen auf die Berliner Mauer, insofern passen für mich die Fotos aus Palästina, auch sehr gut zu diesem Artikel. Ich hatte von der Mauer in Bethlehem gehört, ich hatte auch schon das ein oder andere Foto gesehen, trotzdem war ich nicht darauf gefasst, wie sehr diese Mauer mitten durch den Ort geht. Mir war vorher nicht klar, wie riesig die Mauer ist, wie bedrohlich die Wachtürme wirken, wie wenig Hoffnung trotz aller Kreativität der Malereien und Graffitis von dieser Mauer ausgeht.