Es ist an der Zeit… zehn Jahre später – Nachdenkliches zum Serienende


Vom ersten Teil mit komischen Schulterschmerzen bis zum vorigen sechszehnten Teil ging es um das etwa eine Jahr, ganz direkt mit dem Tumor als Thema. In diesem Teil zum Abschluss der Serie geht es um den Rückblick aus heutiger Sicht.

Bis heute ist die Zeit mit Tumor in Freiburg nicht gerade das Lieblingsthema meines Sohnes und er erzählt davon nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Ich hatte ihn einige Wochen bevor ich die Serie begann, gefragt, was er davon hält, wenn ich darüber schreibe. Ich hatte ihn nochmal vorm ersten Veröffentlichen gefragt und noch zwei- dreimal danach. Lange kam keine Reaktion, er wollte nicht wissen, was ich schreibe, ich solle tun, was ich möchte. Einerseits beeindruckte mich das Vertrauen, dass er wohl nicht befürchtete, ich würde etwas schreiben, was ihm gar nicht recht wäre. Andererseits war ich schon irritiert, denn ich denke, ich an seiner Stelle hätte es vorher lesen wollen.

Erst als bereits rund zehn Artikel veröffentlicht waren, also einige Zeit nachdem ich erstmals gefragt hatte, fragte er nach. Was ich wo geschrieben hätte? Er überlegte nun doch, ob sich das nicht vielleicht rückgängig machen ließe, denn er würde ja nicht jedem von dieser Zeit erzählen.

Was blieb?

Er hat einige Narben behalten, die von den Schraublöchern am Kopf, wobei die am Hinterkopf immer durch die Haare verdeckt sind. Die auf der Stirn sind bei der Frisur, die er jetzt schon lange trägt ebenfalls nicht sichtbar. Die Narbe am hinteren Becken und die vertikal verlaufende Narbe an der Wirbelsäule, sieht man in üblicher Alltagskleidung ebensowenig, wie die horizontal verlaufende Narbe am Hals. Jeans und T-Shirt verhindern meist, dass diese Narben sichtbar sind. Höchstens in Badehose sieht man die ein oder andere Narbe deutlich, deshalb gibt es viele, die gar nichts wissen. Fragen nach etwaigen Narben könnten schon nur die stellen, die ihn auch in Badehose kennen. Damit hat er nur selten einen Grund davon zu erzählen, woher die Narben stammen. Er läuft auch nicht mit einem Blinklicht rum oder mit einer Leuchtreklame, „ich hatte als Kind einen Tumor“.

Bedenken und Zweifel

Nach seinen Bedenken, habe ich nochmal überlegt. Einerseits fand ich es ziemlich unsinnig nachträglich eventuell doch noch etwas zu löschen. Andererseits war mir auch wichtig, dass es für ihn  in Ordnung ist. Nach mehr als zehn Teilen der Serie gab es bereits Links von anderen Seiten auf die Serie. Einige hatten zumindest Teile davon bereits gelesen. Von Anfang an, habe ich darauf geachtet nicht seinen ganzen Namen zu nennen. Da er und ich nicht denselben Nachnamen haben, sehe ich nur eine sehr geringe Chance, dass jemand rein zufällig von seinem Namen aus, auf die Verbindung zu dieser Serie stößt. Wenn jemand mit seinem vollständigem Namen das Netz durchsucht, dann gibt es auch drei Monate nach Beginn der Serie keinen Hinweis auf diese Serie. Wer jedoch unbedingt alles über ihn erfahren möchte, kann natürlich über diverse Querverweise darauf kommen, dass es es um ihn geht. Ich habe bewußt an keiner Stelle direkt die Verbindung hergestellt und das hat geklappt. Andersrum, also von dieser Serie aus, ist es einfacher, natürlich ist es auch für alle klar, die mich und ihn kennen. Nach einigen Mails hin und her,  sieht es so aus, dass er zwar nicht begeistert ist, aber damit leben kann, dass es jetzt so bleibt. Im Text selbst hatte ich anfangs noch seinen Vornamen stehen, weil ich normalerweise, wenn ich von ihm spreche eben seinen Vornamen nutze. Um jedoch sicher zu gehen, dass die Artikel hierzu nur gefunden werden, wenn sich jemand für den Inhalt interessiert, habe ich auch das irgendwann geändert. Für mich liest es sich damit weniger flüssig, aber wer nach dem Namen googlet und einfach nur über ihn Infos sammeln will, soll diese Artikelserie nicht finden können.

Warum eigentlich?

Ich habe mir in den letzten Monaten beim Schreiben und auch drumrum immer wieder überlegt, warum ich das eigentlich tue. Geblieben sind zwei Hauptgründe:

  • Einer ist das Schreiben an sich, das musste jetzt einfach sein: es war an der Zeit. Ich musste mich für mich nochmal damit auseinandersetzen.
  • Der andere ist, dass es für mich schon immer wichtig war, gerade in Grenzsituationen viele Informationen zu sammeln. Mir fehlten damals die Erzählungen über Erfolgsgeschichten, über Berichte, bei denen Kinder wieder gesund wurden, Beschreibungen von der Zeit danach.

Das Schreiben an sich, hätte ich theoretisch auch ohne die Veröffentlichung tun können. Ich habe mich jedoch immer wieder ertappt, wie ich mich doch um die Auseinandersetzung mit dem ein oder anderen Teil dieser Zeit gedrückt habe. Ohne mich selbst mit der Veröffentlichung quasi zu zwingen – entweder weiter zu schreiben oder zumindest bewusst zu entscheiden, bis hierhin und nicht weiter – hätte ich nach zwei Beiträgen aufgehört. Da waren Teile dabei, an denen ich immer wieder rumgekaut habe…

Unterstützung und Hilfe

Wichtig ist mir auch die Veröffentlichung, um darauf aufmerksam zu machen. Während ich das schreibe ist Adventszeit, viele überlegen in dieser Zeit für irgendwelche Projekte zu spenden. Klar, gibt es viele wichtige Projekte gerade auch außerhalb Deutschlands. Andererseits hätte ich noch viel mehr Probleme gehabt, wenn es nicht den Verein ‚Förderung für Eltern krebskranker Kinder‘ gegeben hätte.

Große Kleinigkeiten

Ich hatte damals den Mindestsatz Umschulungsgeld, der jedoch nur mich, nicht aber nicht mein Kind berücksichtigte. Um in Freiburg bei ihm zu bleiben und immer wieder mit ihm hinzufahren, brauchte ich Geld, was ich einfach nicht hatte.

Das Umschulungsgeld reichte so gerade eben, es war schon mehr als zuvor die ergänzende Sozialhilfe zu einem schlecht bezahlten Job. Die Möglichkeiten, die jedoch die Elternwohnung in Krankenhausnähe bot, die hätte ich mir nicht leisten können. Wochenlang ein Hotel bezahlen, wäre nicht drin gewesen. Mit der Elternwohnung und zusätzlicher Unterstützung wie freies Essen und einem Zuschuss, war es möglich meinem Sohn auch mal etwas besonderes mitzubringen. So konnte ich mal eine Mango kaufen, wenn er sonst nichts aß, es gab hin und wieder eine nette Kleinigkeit.

Die ganz simplen Dinge, konnte ich damit finanzieren, denn da war noch einiges am Rande: Der Junge brauchte andere Kleidung in der Zeit mit Gerüst, über das Gerüst konnte er keins seiner normalen Kleidungsstücke anziehen, auch mit der großen steifen Halskrause passte noch keins seiner T-Shirts, kein Pulli oder so. Insgesamt war es die Zeit von August bis Dezember in der es Kleidung brauchte, die noch einigermaßen so war, dass er sich wohlfühlte.

Manche Menschen meiner Umgebung haben sich damals lieber nicht mehr gemeldet, es war doch ein sehr unangenehmes Thema und das wollten sie lieber nicht. Andere Erlebnisse haben Mut gemacht:

  • Die Schulleiterin der Privatschule, die sagte, sie würde mich ein weiteres Jahr kostenlos nehmen, falls es in diesem Jahr nicht klappt.
  • Die Oma, die mal eben nach Freiburg fuhr, um den Enkel auf dem Rückweg im Krankenwagen zu begleiten und mir zu ermöglichen mein Fahrzeug wieder mitzunehmen.
  • Die Freundin, die einfach mal ein spannendes Buch mitbrachte oder uns dazu brachte zum Fastnachtsumzug zu gehen.
  • Diejenigen, die bei meinem Sohn in der Klinik waren und einfach ganz normal mit ihm umgingen.
  • Die Nachbarin, die eine besonders nette Karte an ihn ins Krankenhaus schrieb.
  • Die Lehrerin, die einen Brief von der ganzen Klasse mit Bildern und Texten organisierte.
  • Die Klassenkameradin, also meine Klassenkameradin, die einfach mal eben spontan zu einem unangenehmen Untersuchungstermin mitging und nicht nur mich, sondern auch das Kind ablenkte.

Das hier ist ein Thema, bei dem die Unterstützung ganz direkt in verschiedensten Formen möglich war. Es gibt viele andere schwierige Themen, bei denen jedoch ähnliches möglich ist. Es gibt dieses und manches andere Problem direkt vor eurer Tür,  es gibt fast überall Vereine, die z.B. krebskranke Kinder unterstützen. Spenden, Hilfe und Unterstützung sind ganz oft im Alltag gefragt, häufig direkt vor Ort, bei Freunden, Verwandten, Nachbarn, Bekannten…

Hängengeblieben ist bei mir die Enttäuschung über einige Menschen, mit denen mein Kind und / oder ich vorher intensiven Kontakt hatten. Aber noch viel mehr habe ich bis heute viele schöne Kleinigkeiten im Gedächtnis, die freundliche Krankenschwester, den engagierten Arzt, den Kellner, der meinen Sohn nicht komisch ansah trotz Gerüst…

Ich wünsche mir, dass mehr Menschen mit offenen Augen und wachem Interesse auch mit solch unangenehmen Themen umgehen. Unterstützung heißt nicht, sich ausschließlich mit Problemen zu befassen oder möglichst viel zu spenden. Unterstützung für mich waren oft die Kleinigkeiten, wie das hinschauende Lächeln der Kassiererin an den Jungen, trotz Gerüst und Rollstuhl.


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