Der erste Teil dieser Serie.
Einen halben Tag später beim nächsten Gespräch strahlten sie nicht mehr, denn nach Absprache mit den Chirurgen, verbesserte dass die Lage keineswegs, fast schon im Gegenteil. Im Grunde hatten die zumindest die Chirurgen gehofft, es wäre ein nur mit Chemo behandelbarer Tumor, aber das war es nun nicht. Der Nachteil der gutartigen Tumore sei, dass sie eben nur operativ behandelt werden können.
Die Diagnose war also klar, aber das Problem war, die Stelle des Tumors. Der Tumor ging voraussichtlich vom sechsten Halswirbel aus und hatte jedoch auch den fünften und siebten stark befallen. Soweit so gut, das hatte ich verstanden. Aus meinen Gesprächen in den vergangenen Tagen wusste ich, dass der diensthabende Arzt mir gesagt hatte, dass das Rückenmark ja ebenfalls genau da verlaufe, wo der Tumor sei. Das Rückenmark sei jedoch hochempfindlich und dürfe nicht verletzt werden. Viel mehr hatte er vorab nicht gesagt, nur, dass es ja auch nicht danach aussehe, dass der Tumor operiert werden muss.
Der „Vorteil“ einer bösartigen Variante wäre gewesen, dass es da Formen gibt, die sich ausschließlich mit Chemotherapie behandeln lassen. Bei reiner Chemotherapie gäbe es zwar starke Nebenwirkungen, auch wenn es schon viel besser sei als früher, aber das Rückenmark müsste nicht angefasst werden. Auch bei den Krebsarten, die man am besten mit einer Kombination aus OP und Chemo behandelt, wäre es einfacher, denn dabei muss ein Tumor nicht vollständig entfernt werden, also wieder kein Problem mit dem Rückenmark.
In dem Gespräch nach Klarheit über die Diagnose, führten es die Ärzte noch näher aus. Falls das Rückenmark verletzt würde, dann würde mein Sohn nicht nur gelähmt sein, sondern selbst atmen, sei mit einer Verletzung an dieser Stelle nie wieder selbständig möglich. Soweit es vorab einzuschätzen sei, manches sehe man erst während der Operation, müsse der Tumor vom Rückenmark abgekratzt werden. Selbstverständlich klappe das meist, sonst würde man nicht operieren, aber es sei schon eine sehr schwierige Operation und garantieren könne man leider gar nichts.
Ich fragte: „Angenommen es klappt und dem Rückenmark passiert nichts, welche anderen Konsequenzen könnte es sonst haben?“ Nun, leider könne man trotz vielfältiger und gründlicher Untersuchungen vorab, niemals sicher ausschließen, dass eine Operation tödlich verläuft. Ich wollte mehr über das genaue Vorgehen bei der Operation wissen, dazu verwiesen mich die Ärzte der Kinderklinik auf den anstehenden Termin mit der Chirurgin. Zu meiner Frage, ob der Junge bei gutem Verlauf wieder vollständig gesund würde, konnten sie leider ebenfalls nichts sagen. Es gäbe gerade bei vorherigen neurologischen Auswirkungen jedwede vorstellbare Konsequenz. Es könne sich klar verbessern, aber auch deutlich verschlechtern, das wisse man vorher nie, welche genauen Auswirkungen im Nachhinein entstünden.
Das Gespräch bekam ich hin, die Ärzte schienen eher irritiert über meine rein sachlichen Fragen nach dem Termin und so. Glücklicherweise, wusste mein Junior nicht genau, wann das Gespräch war und wie lange es dauern würde. Ich musste erstmal raus, ins Freie, in irgendeine Ecke des Geländes, an der ich ganz sicher allein war. Gerade war meine Welt ziemlich vollständig zusammengestürzt, jede Hoffnung auf „alles doch nicht ganz so schlimm„, die insbesondere nach der Diagnose – gutartiger Tumor – wieder aufgekommen war, war jetzt dahin.
Ich weiß nicht ganz genau, wie lange ich im Garten war und versuchte mich irgendwie wieder zu beruhigen, zu sammeln, wenigstens so weit zu kommen, dass ich mit meinem Sohn reden könnte. Mehr als eine Stunde war es sicher. Mir ging vieles durch den Kopf, ich fragte mich warum, wieso er, wieso nicht… Mir fielen einige Menschen ein, bei denen ich es fairer gefunden hätte, sie hätten Krebs… Nein, ich möchte den Schmerz von Eltern, die ein Kind verlieren, jedoch noch andere Kinder haben nicht schmälern, trotzdem habe ich mir gewünscht der Neunjährige wäre kein Einzelkind. Ich war überzeugt, ich käme jetzt besser zurecht, wenn ich nicht das Gefühl hätte, dass ich vielleicht in einigen Tagen kein Kind mehr hätte. Natürlich gingen mir auch Überlegungen durch den Kopf, wie es wäre, wenn er beatmet werden müsste, für den Rest seines Lebens. Fragen, wie was würde ich tun, wenn er mich bäte die Maschine dann abzustellen… Keine Ahnung, wie ich irgendwie wieder zurückkam, irgendwann nahm ich die Umgebung wieder wahr, ich sah Wiese und Bäume, die Klinik, Autos auf der Straße, Menschen, die irgendwo entlang gingen.
Wieder stand an, dass ich erstmal den Neunjährigen informieren musste, irgendwann seinen Vater, einige Menschen in meiner Umgebung… Es meinem Kind zu sagen, war nicht schön, ich hätte gern drauf verzichtet, aber es war nicht so schlimm, wie die ersten Male. Denn der Junge wollte die sachlichen Informationen, er hatte akzeptiert, dass im Moment nichts sicher war und dass ihm nichts übrig blieb als zu warten. Er fragte noch, ob es passieren könne, dass er daran sterben würde, mein knappes „ja“ genügte ihm. Interessiert war er dann erst wieder an weiteren Fakten, die meisten bekam ich ja erst später von der Chirurgin, das wollte er genauer wissen.
- Klopfer
Die Chirurgin hatte ein Stück weit beruhigende Wirkung auf mich. Sie sagte zwar sachlich betrachtet nichts anderes, aber sie ging stark auf die Hoffnung ein, die sie habe. Sie glaube daran, dass alles gut verlaufe und sie verstünde die Schwierigkeit der Situation für mich, sie sei schließlich selbst Mutter. Beim Gespräch des Ablaufs der Operation war der Neunjährige auch dabei. Sie erklärte ihm, dass sie den Knochen wieder neu erstellen müsse, den der Tumor weggefressen hatte. Deshalb würde sie von seinem Beckenknochen ein Stück abmachen, um daraus neue Wirbelteile zu bauen. Sie rechne schon mit etwa drei, vier Stunden Operationszeit. Aber ich dürfe mit, bis er eingeschlafen sei und ich sei dann auch da, wenn er wieder aufwacht. Sogar Klopfer dürfe mit, bis er eingeschlafen sei, während der OP würde er ja ich, seine Mutter auf Klopfer aufpassen.
Klopfer ist ein Hase, für alle die den Film Bambi kennen, wäre das auch ohne Bild bereits klar gewesen. Bambi war einer der Lieblingsfilme des Jungen. In Kuscheltiere aller Art war er schon immer vernarrt, deshalb hatte er auch immer sehr viele. Immer mal wieder wechselte das aktuelle Lieblingstier, aber Klopfer, den er bekam als er zwei war, war oft mit vorn dabei. Klopfer, war damals noch eher zufällig beim ersten Arzttermin wegen der Schulterprobleme dabei. Ab da beschloss der Neunjährige, wenn es einmal geklappt hatte mit Klopfer, dann würde er ihn auch zu weiteren Untersuchungen mitnehmen. Klopfer war immer dabei, beim Blut abnehmen, beim Röntgen und im Gegensatz zu mir durfte Klopfer sogar mit in den Kernspinraum. Für das Kind war Klopfer, ein Stück Sicherheit, wenn er dabei war, dann würde schon alles passen.
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