Es ist an der Zeit… nur noch eine Halskrause


Diese Serie begann mit dem ersten Teil  und ursprünglich wollte ich alle weiteren Teile in festem Rhythmus veröffentlichen. Aus verschiedenen Gründen klappt es nicht regelmäßig. Der letzte Teil vor diesem war der zwölfte Teil in dem es um Fachbegriffe und die genauere Diagnose ging. Im elften Teil beschrieb ich, wie gerade weil das Gerüst entfernt wurde, klar wurde, wie sehr das eingeschränkt hatte.

Mein Sohn sollte vor der OP schon einige Tage eine Halskrause tragen, er hasste dieses Ding und es war ihm peinlich. Wahrscheinlich hätte ich ihn nur mit Mühe überzeugen können, die Halskrause in der Öffentlichkeit anzulassen. Aber jetzt, nach den Wochen mit Gerüst, freute er sich über die zarte Halskrause, als ich ihm noch zeigte, dass man ein Seidentuch drüber binden kann, so dass es aussieht wie ein Schal, war das kein Problem mehr.

Kein Maulen, kein „sich schämen“ so eine Halskrause war inzwischen ein Stück riesiger Freiheit. Auch in der Klasse meines Sohnes und bei seinen Freunden war der Eindruck ähnlich, denn alle kannten ihn über Wochen nur mit Gerüst, da war diese Halskrause kein Problem. Niemand fiel auf, dass es eine steifere und größere Version war, als das z.B. bei einem Halswirbelschleudertrauma üblich ist. Jetzt allmählich begann tatsächlich wieder Alltag. Der Junge durfte sich allein bewegen, er durfte wieder im Bus oder Auto mitfahren, er durfte allein zur Schule, in den Pausen konnte er wie alle anderen auf den Schulhof.

Schon nach wenigen Tagen, sah die Welt ganz anders und viel besser und größer aus. Die einzige Einschränkung war jetzt die Halskrause und alles was die Halswirbelsäule stark belastet, Kopfbälle beim Fussballspielen und ähnliches sollte er vermeiden. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis er sich überhaupt wieder traute den Kopf zu drehen und zu heben. Da er die Halskrause außer beim Duschen Tag und Nacht tragen musste, blieb auch die Haltung, die er mit Gerüst hatte, mehr oder weniger erhalten. Es waren etwa zehn Wochen mit Gerüst und anschließend nochmals etwa sechs Wochen mit Halskrause.

Insgesamt war unser Alltagsprogramm ziemlich gut gefüllt. Er war in der letzten Klasse der Grundschule, die Befürchtungen, ihm könnten die Fehlzeiten bei seinen Noten geschadet haben, bewahrheiteten sich nicht. Es ging um den anstehenden Schulwechsel, welches Gymnasium würde passen, welcher Freund würde wohin wechseln, welche Reihenfolge der gewünschten Schulen war sinnvoll… Ich war im zweiten und letzten Jahr der Umschulung und hatte in den Zeiten in Freiburg nur wenig Gelegenheit und noch weniger Energie für die Schule zu lernen. Sobald wir Zuhause im Alltag waren, hatte ich jeweils einiges nachzuholen. Dazwischen war noch unsere Hochzeit mit Vor- und Nachbereitung…

Im Nachhinein finde ich es erstaunlich, was da alles so nebenbei noch möglich war. Es passt schon zu mir, ich kann mit Grenzsituationen am besten umgehen, wenn ich möglichst wenig Leerzeiten habe, in denen ich zum Grübeln komme. Dafür war auch tatsächlich kein Platz. Das Kind wollte in dieser Zeit immer nur wissen, was gerade aktuell war, bzw. was wann als nächstes anstand. Er wollte nicht über die Wochen davor reden und war im Alltag froh, wenn es nicht nötig war über Einschränkungen, die Halskrause oder dann eben keine Halskrause mehr, noch länger zu reden. Manchmal kam während der Fahrten nach oder von Freiburg zurück eine Frage, oder auch mal im Wartezimmer der Kinderklinik, dann jedoch meist sehr konkret auf die gerade aktuelle Situation bezogen.

Ich versuchte ihm möglichst immer zu vermitteln, dass er mit mir reden kann, wenn er das möchte, dass er jedoch selbst entscheiden dürfe, ob, was und wieviel. Ab und zu fragte ich die anderen Erwachsenen in seiner Umgebung, seinen Vater, Oma, Roland und wer sonst noch Kontakt mit ihm hatte, ob er mit ihnen über die Zeit gesprochen habe. Dem war jedoch nicht so, wenn er mit jemand sprach, dann mit mir. Im Grunde war es ja auch logisch, denn ich war diejenige, die bei allen Terminen, Untersuchungen, Arztgesprächen usw. dabei war. Mir musste er nichts erklären, er konnte knappe Fragen stellen und bekam klare Antworten, soweit ich es wusste. Im Zweifel fragte ich bei den Ärzten nach, das war jedoch nur selten nötig.

Manchmal wünschte ich mir schon, er hätte ein bisschen mehr darüber geredet. Er verweigerte auch strikt alle Angebote, die in Richtung psychologischer Beratung gingen. Da sein Allgemeinzustand jeweils exzellent war und er offen und klar mit den Ärzten sprach, übten auch die keinen Druck auf ihn aus, sich doch betreuen zu lassen. Aus meiner Sicht hatte er eine grandiose Leistung gezeigt in diesem inzwischen einen Jahr, von den ersten deutlicheren Beschwerden, bis zu diesem Moment. Er war weiterhin unverändert gut in der Schule, traf sich mit Freunden, war nur bezogen auf sportliche Aktivitäten etwas ruhiger, aber das sollte er ja auch. Deshalb fand ich ebenfalls keinen Grund ihn zu zwingen, sich mit dieser Zeit mehr zu befassen. Denn bisher war es auch noch nicht vorbei.

In diesen Wochen gab es regelmäßige Termine in der Kinderklinik und immer wieder auch in Freiburg, dort wollten sie ganz sicher gehen, dass alles gut verläuft und sich immer wieder auch selbst einen Eindruck verschaffen. Als bei allen Nachuntersuchungen bis dahin nichts Besorgniserregendes auftrat, gab es erst die Überlegung eine etwas weniger steife Halskrause zu verordnen. Doch auf sein Bitten wurde er schließlich doch ohne Halskrause entlassen. Inzwischen war es Dezember, die Operation hatte am 13. August stattgefunden. Das Kind und ich fuhren zurück von Freiburg ohne die Halskrause, und mit dem Hinweis der nächste Termin wäre wohl erst zum Platten entfernen. Ja, fast hätten wir sie vergessen, aber die Platten und Schrauben, die die Halswirbelsäule stabilisierten, um den eingesetzten Knochenspänen Gelegenheit zu geben so an- und zuzuwachsen, dass es wieder stabil wäre; würden wieder raus müssen. Bei Erwachsenen können Platten in manchen Fällen bleiben, weil sich am Knochenbau nichts mehr ändert. Bei Kindern im Wachstum geht das auf keinen Fall, da ist es wichtig den passenden Zeitpunkt zu finden, der ausreichend Stabilität gewährleistet, aber das Wachstum nicht behindert.


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