Diese Serie ging vom ersten Teil bis zum vorigen fünfzehnten Teil und erzählte von einem Zeitraum von rund einem Jahr. Dieses ist der vorletzte Teil dieser Serie.
Nach Monaten, in denen sich alles nur noch um Untersuchungstermine, Operationen usw. drehte, war jetzt wirklich mal Ruhe. Der nächste Termin geplant erst in einem halben Jahr, bislang alles ok, keine Spuren eines Tumors mehr. April bis Juni war gefüllt mit Alltag. Der junge Mann freute sich aufs anstehende Gymnasium im Herbst, in der Schule klappte alles soweit gut. Wenn er mit Freunden zusammen war, war es auch in Ordnung. Aber die ruhigen Zeiten waren nicht gut.
Es wurde Juli, und er klagte wieder vermehrt über Schmerzen, irgendwann war der rechte Arm völlig taub. Ich vereinbarte einen Notfalltermin in der Kinderklinik, weder die Untersuchungen so, noch das Ergebnis der Kernspintomographie ließen die Ärzte in Konstanz und Freiburg eine Erklärung finden. Laut aller Untersuchungen gab es keinen körperlichen Grund für diese deutliche Verschlechterung. Mein Sohn glaubte den Ergebnissen jedoch nicht. Er meinte, es sei ja letztes Mal auch so gewesen, dass es erst geheißen habe, alles sei in Ordnung und dann hätte er das Gerüst bekommen.
Darauf hatte ich keine Antwort. Ich konnte ihm nicht garantieren, dass wirklich nichts mehr käme.
Auswirkungen
Gegen Ende der Sommerferien wurde es besser, er hatte weniger Beschwerden. Kurz nach Schuljahresbeginn gab es kaum noch Probleme, die ihn stark behinderten. Eine weitere Nachuntersuchung bestätigte, dass alles in Ordnung war. Vor den Pflichtuntersuchungsterminen wurde jedesmal alles schlechter, die Termine wurden glücklicherweise seltener.
Dieser Junge war nie ein Jammerkind, nicht vor dem Tumor, zunächst auch nicht in der Kinderklinik, aber er traute der Ruhe nicht. Er glaubte nicht daran, dass es vorbei sein könnte, so schlichen sich immer mal wieder für ihn untypische Anzeichen ein. Einmal in Freiburg einigte ich mich mit dem Arzt auf Placebos, weil wir beide sicher waren, dass seine Schmerzen und Probleme in diesem Moment keine körperliche Ursache hatten. Kurz vor seiner Entlassung klagte er ganz verstärkt und ich weiß, in seinem Kopf, für sein Gefühl war da Krebs. Besser wurde das, durch die Aussicht, sobald er selbst soundso weit laufen könne, dürfe er nach Hause. Innerhalb zweier Tage konnte er, der vorher nicht mal gut allein stehen konnte, weiter als gefordert, laufen.
Er wurde auch danach nicht zum Jammerkind, jedoch alles was er sich nicht sofort erklären konnte, löste Panik aus. Sobald etwas im Bereich Schulter, Arm, Halswirbelsäule nicht ganz eindeutig zuzuordnen war, war er sich sicher, dass es jetzt wieder los geht, dass der Tumor zurück wäre, dass es Krebs ist, dass es jetzt noch schlimmer wird. Ich habe es in solchen Situationen auch mit Reden versucht, jedoch immer in Kombination mit dem erneuten Termin, mit den eindeutigen Untersuchungen, die glücklicherweise jedesmal bestätigten, dass da nichts ist, was behandelt werden müsse. Ich denke es war sowohl für ihn, wie auch für die Ärzte nicht einfach zu unterscheiden, was sind jetzt Nachwirkungen, die sich vielleicht auch nie wieder ganz beseitigen lassen, und was könnte doch ein Anzeichen für einen neuen Tumor sein.
Ganz schlecht war es immer zum Jahrestag der Operation. Das Kind, der Jugendliche kannte den Operationstermin, seine innere Uhr, sein Bauchgefühl, hätten ihn sicher zu jedem Zeitpunkt des Jahres erinnert. Hinzu kam jedoch, dass das der schlimmste Teil des Ganzen an seinem Geburtstag und zu Beginn der Sommerferien begonnen hatte. Alljährlich passierte um diese Zeit herum irgendwas…
Unfälle jedes Jahr um die gleiche Zeit
Er hatte fast immer irgendwas, was gerade nicht ganz in Ordnung war. Das Asthma war meist da, ausgelöst durch unzählige Allergien. Fast immer hatte er irgendwo einen Verband, ein Pflaster oder ähnliches. Aber er fehlte nie in der Schule, manches fiel ihm gar nicht so auf.
Jedoch jedesmal rund um seinen Geburtstag war irgendwas:
- die einzige richtig heftige Mittelohrentzündung seines Lebens mitten im Hochsommer
- Verstauchungen, starke Zerrungen und Prellungen waren schon die harmloseren Varianten
- heftige Asthmaanfälle mit stark entzündeten Augen gehörten meist zum Sommerferienbeginn
- ein zu operierender Zeh, weil der Nagel eingewachsen war…
- ein gebrochener Zeh
- mehrfach die Hand gebrochen
- …
Irgendwann hatte ich genug. Ich sagte ihm, wenn noch einmal etwas Größeres genau zu seinem Geburtstag passiere, dann würde ich ihn zwingen sich nochmal nachuntersuchen zu lassen. Er verweigerte nach etwa drei Jahren weitere Untersuchungen. Nach meiner Ankündigung fragte ich im Frühjahr nach, wie es mit Nachuntersuchung aussähe, er wollte nicht. Jedoch, es hatte sich etwas verändert. Erstmals gab es ein Jahr, ohne größeren Unfall oder Krankheit kurz vorm oder am Geburtstag. Er war inzwischen siebzehn.
Reifer, erwachsener
Schon vor der Zeit in Freiburg, war er immer eher reifer und erwachsener als die meisten seines Alters. Die Zeit dort verstärkte das noch massiv. Gleichzeitig wurde er zunächst anhänglicher, ruhiger, und oft nachdenklich. Reden wollte er meist nicht, so ab und zu mal eine Frage, aber mehr kam nicht. Einige Monate später war körperlich alles schon ganz gut, kein Gefühl im rechten Unterarm, taube Finger und eine noch immer leicht verschobene Haltung waren alles, was noch übrig war.
Erhalten hat sich die Reife, die fast allen auffiel, die näheren Kontakt mit ihm hatten. Häufig wurde ich auch von Lehrern oder anderen Erwachsenen darauf angesprochen. Meist wussten die nichts von der Zeit als Neunjähriger mit dem Tumor.
Eine Antwort zu “Es ist an der Zeit… alles gut, alles vorbei?!”
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