Die Gegner reagieren erst jetzt… Kurzfassung der Geschichte des Projekts S21


Inzwischen habe ich mehrfach Stimmen gehört, die Gegner von S21 seien erst jetzt plötzlich auf die Idee gekommen zu demonstrieren bis vor kurzem seien sie ja noch dafür gewesen. Deshalb hätten sie jetzt kein Recht dagegen zu sein. Bis vor kurzem hielt ich das Thema für ein lokales Thema der Region Stuttgart und hatte mich nicht intensiver mit dem Für und Wider des Projekts befasst.

  • Dorfbahnhof in Hegne weit weg von S21

Für die Vorfälle am Donnerstag, den 30. September ist es aus meiner Sicht auch völlig unerheblich ob jemand für oder gegen das Projekt ist, dieser Umgang ist in jedem Fall falsch.

Viele sind – ähnlich wie ich – dieser Meinung und sprechen sich klar gegen die Gewalt durch die Polizei an diesem Tag aus. Einige beginnen inzwischen jedoch diese Vorfälle zu relativieren, da doch die Demonstrationen auch gar nicht nötig gewesen seien.

Für mich ist es irrelevant, ob ich ein Thema für nötig halte, das Recht zu demonstrieren besteht ganz grundsätzlich. Inwieweit dann juristisch betrachtet bereits eine Sitzblockade oder das Mitführen eines Regenschirms Grund genug sein kann, dass die Polizei einschreiten darf, das kann ich als Nicht-Juristin nicht kompetent entscheiden.

Kein Grund stellt für mich jedoch das Argument: „Das hätten sie sich früher überlegen sollen.“ dar. Das mal ganz grundsätzlich, denn nur weil eine Entscheidung in der Schwebe vielen Menschen noch nicht klar war, kann es nicht heißen, dass sie nicht später noch dagegen demonstrieren dürfen.

Völlig unsinnig ist für mich der Hinweis: „Durch Beschlüsse gewählter Vertreter legitimierte Entscheidungen können nicht rückgängig gemacht werden.“ Denn wenn sich die Verhältnisse ändern, die zu einer Entscheidung geführt haben, dann finden sich genügend Beispiele, dass sehr wohl etwas zurück genommen wird. Der Ausstieg aus dem Atomausstieg ist ein prominentes Beispiel.

Von alledem mal abgesehen, habe ich inzwischen mal ein bisschen nachgelesen (Wikipedia war ein guter Ausgangspunkt: Stuttgart 21 und Proteste zu Stuttgart 21), wie das Projekt zustande kam:

Kurzfassung der Geschichte des Projekts S21

  • Anfang 1995 Kostenschätzung etwa 4,807 Milliarden D-Mark (also etwa 3,3  Milliarden Euro inklusive Baukostenzuschlag)
  • Bereits 1997 wurde ein Bürgerentscheid gefordert
  • 1999 wollte die Bahn das Projekt stoppen
  • 2000 wurde die Planung gestoppt, die Stadt Stuttgart und das Land versuchten Mittel aufzubringen, um die Bahn zur erneuten Zusage zu bewegen
  • 2001 genehmigte die Bahn doch, nach dem Bund und Länder eine Vorfinanzierung geklärt hatten
  • 2004 Oberbürgermeister Wolfgang Schuster kündigt im Wahlkampf an, für einen Bürgerentscheid zu Stuttgart 21 eintreten zu wollen, falls es zu erheblichen Mehrkosten käme. Danach bekam er die zusätzliche Unterstützung der Grünen.
  • 2006 wurde ein Klage des BUND gegen Teile des Projekts abgelehnt
  • Im Oktober 2006 beschloss der Landtag von Baden-Württemberg die Realisierung von Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm.
  • 19. Juli 2007 Bund, Land Baden-Württemberg, Stadt und die Bahn einigen sich über die Aufteilung der Kosten und des Baukostenrisikos
  • 5. September 2007 der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG stimmt der Umsetzung des Projektes zu
  • 14. November 2007  61.193 gültige Unterschriften für einen Ausstieg der Stadt aus dem Projekt werden übergeben (notwendig waren 20.000) Quellen: stuttgart.de und vcd-bw.de
  • 20. Dezember 2007 der Stuttgarter Gemeinderat lehnt den Bürgerentscheid mit 45 zu 15 Stimmen ab, er sei rechtlich unzulässig (Bürgermeister Schuster trat wohl doch nicht dafür ein)
  • 24. April 2008 der eingelegte Widerspruch der Projektgegner wird vom Gemeinderat abgelehnt
  • Mitte 2008 ein Gutachten von Parteien und Organisation kommt auf wahrscheinliche Gesamtkosten von 6,9–8,7 Milliarden Euro
  • August 2008 das Land korrigiert die Kosten auf  5,08 Milliarden Euro
  • 2. April 2009 unterzeichnen die Beteiligten die Finanzierungsvereinbarungen
  • November 2009 beginnen die wöchentlichen Montagsdemonstrationen
  • 16. Dezember 2009 es folgt die Zustimmung des Verkehrsausschusses des Bundestages
  • 2. Februar 2010 die Bauarbeiten beginnen offiziell
  • Ende Juni 2010 durch Planungsfehler beim Umbau  kommt es zu Einschränkungen im S-Bahn-Verkehr
  • 1. August 2010 Abriss der Seitenflügel des Hauptbahnhofs beginnt
  • 30. September 2010 Eskalation beginnt während einer angemeldeten Schülerdemo
  • 1. Oktober 2010 um Punkt Mitternacht werden die ersten Bäume gefällt

Zum Projekt Stuttgart 21 kann man selbstverständlich verschiedener Meinung sein. Doch für mich zeigt die Historie der Abläufe auch ganz deutlich, dass einige Bürger von Anfang an protestierten. Die Menschen wurden möglichst nicht einbezogen und die sich verändernden Bedingungen, Fehler, erhöhte Kosten, Ablehnungen der Mitbestimmung haben aus meiner Sicht dazu geführt, dass das anfangs noch überwiegend positiv betrachtete Projekt inzwischen mehr Gegner als Befürworter hat.

Ich denke klare Mitbestimmung in früheren Phasen hätte die massiven Proteste und somit auch die Eskalation und den jetzt verfahrenen Stand verhindern können.
Weitere Artikel rundum S21 hier im Blog:


8 Antworten zu “Die Gegner reagieren erst jetzt… Kurzfassung der Geschichte des Projekts S21”

  1. wak: http://www.sueddeutsche.de/politik/proteste-gegen-suttgart-demo-demos-demokratie-1.1007427

    Besonders gut gefällt mir der Satz:
    „Und im Ãœbrigen ist eine repräsentative ja keine blinde Demokratie. Sie darf sich von Kritik überzeugen lassen, muss es aber nicht.“

    jardin: Mitarbeit an den Wikipediaartikelen ist übrigens gern gesehen.

    Natürlich möglichst sachlich und neutral.

    Sorry aber an der Wikipedia arbeite ich nicht mehr mit, seit ich feststellen musste, dass manchen dort Kleinkrieg und Paragraphenreiterei wichtiger ist als informativer Inhalt. Vieles was in der Wikipedia in anderen Sprachen selbstverständlich enthalten ist, wird in der deutschen Wikipedia wegen Irrelevanz gelöscht.

    jardin: Hier wird Material gesammelt:

    Danke, wenn mir Material begegnet, dann schlicht auf der Diskussionseite etwas einstellen, das mache ich gern.

  2. Danke nochmal für die stichpunktartige Chronik – sehr nützlich.

    Ja, die Entwicklung von Wikipedia sehe ich auch ähnlich kritisch, die „Hausmeister“ haben da inzwischen das Szepter übernommen. Aber man sieht ja auf der Diskussionsseite, was dabei dann heraus kommt. Will man denen das Feld überlassen? Es sind auch längst nicht alle da „so“.

    Wer etwas mehr in der S21-Materie steckt und Lust auf Diskussionen und Artikelarbeit hat, kann sich ja trotzdem beteiligen.

    Vielleicht kann das ja auch jemand mal „weitertwittern“ (bin nicht bei Twitter).

  3. jardin: Danke nochmal für die stichpunktartige Chronik – sehr nützlich.

    Gerne. :)

    jardin: Will man denen das Feld überlassen? Es sind auch längst nicht alle da “so”.

    Ich weiß, dass nicht alle so sind, aber die „Hausmeister“ sind mir zu anstrengend, ich mag nicht überall „die Welt retten“ ;)

    Vielleicht kann das ja auch jemand mal “weitertwittern” (bin nicht bei Twitter). Ich hab’s bei identi.ca und twitter mal reingeschrieben:

    http://identi.ca/notice/54289789 und http://twitter.com/miradlo/status/26473984642
    Ich wiederhole das in nächster Zeit nochmal.

    Ja, es wäre schön, wenn auch die deutsche Wikipedia nicht von selbsternannten Supertypen beherrscht würde, sondern vor allem von denen die dieses Projekt unterstützen wollen. :)

  4. Hallo,
    erstmal: gute und detailierte Arbeit. Ich hätte lediglich ein paar Punkte anzumerken. Der Gemeinderat lehnte das Bürgerbegehren Aufgrund von zwei Gutachten zweier Rechtsanwälte ab, die zu dem Schluß kamen, dass die Form der Fragestellung nicht rechtlich vertretbar war . Ich habe die Fragen gelesen und muss auch sagen, dass Formulierungen wie: „Wollt Ihr S21 und alle jämmerlich sterben oder K21 und ewig glücklich leben?“ nicht gerade die objektivste Art der Fragestellung war. Stark überspitzt, aber darauf lief es hinaus.
    Zum Anderen wurde im Juli 2009 die Klage gegen die Nichtannahme des Bürgerbegehrens vom Verwaltungsgericht abgewiesen.
    Ich schreibe dies nur, weil sonst der Eindruck vermittelt würde, das der Gemeinderat keinen wirklich legitimen Grund zur Ablehnung gehabt hätte. Dies wurde aber 2009 richterlich bestätigt.

    Daraus kann man schliessen, was man möchte. Ich bin allerdings der Meinung es gehört in einer sauberen Historie, die sich mit der Bürgerbeteiligung befasst, ebenfalls erwähnt.

    lieben Gruß
    Rolf

  5. Hallo Rolf,

    Rolf: Ich bin allerdings der Meinung es gehört in einer sauberen Historie, die sich mit der Bürgerbeteiligung befasst, ebenfalls erwähnt.

    danke für die Informationen, gibt es eine online erreichbare Quelle zu dem Gemeinderatsbeschluss? Falls ja, verlinke ich diese gern.

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